Pro-bono-Tätigkeit von Anwälten: Rechtsrahmen und Haftung (2023)

I. Begriff und Zulässigkeit

Das Tätigwerden eines Rechtan­waltes pro bono ist gesetzlich nicht geregelt. Anders als in einigen anderen Rechts­ord­nungen wie zum Beispiel in den USA besteht auch keine berufs­ethische Verpflichtung, Mandate pro bono zu übernehmen. Aber was bedeutet pro bono überhaupt und in welchem Rahmen ist es zulässig?

1. Was bedeutet Pro-bono-Tätigkeit?

Eine genaue Begriffs­be­stimmung gibt es nicht. Kurz gesagt versteht man unter pro bono die anwaltliche Tätigkeit für das öffentliche Wohl. Ausführ­licher wird pro bono als vollständig unentgeltliche anwaltliche Beratung oder Vertretung außerhalb von Prozess­kosten- und Beratungshilfe verstanden, beziehungsweise als eine Tätigkeit gegen ein Entgelt, das gemessen an der Leistung, der Verant­wortung und dem Haftungs­risiko des Rechts­anwalts zu gering ist (Dux, AnwBl 2011, 90). Eine weitere Umschreibung des Begriffs lautet: „Pro-bono-Tätigkeit besteht in der Beratung und Vertretung gemein­nütziger Organi­sa­tionen, Nichtre­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen, Stiftungen und bedürftiger Privat­personen sowie in dem Engagement zur Förderung und Verbreitung von Rechts­staat­lichkeit und Menschen­rechten. Ziel der pro bono-Arbeit ist es, das Know-How und die Ressourcen einer Anwalts­kanzlei einem guten Zweck zur Verfügung zu stellen und so im Rahmen der beruflichen Tätigkeit bürger­schaft­liches Engagement zu entfalten“ (Bälz, Moelle, Zeidler, NJW 2008, 3384).

Kern aller Defini­ti­ons­ansätze sind die Elemente der kostenlosen Rechts­be­ratung und der Motivation, für das öffentliche Wohl oder einen guten Zweck tätig zu werden. Keine Pro-bono-Tätigkeit liegt beispielsweise vor, wenn ein Anwalt unentgeltlich für einen Famili­en­an­ge­hörigen oder Bekannten tätig wird. Auch wenn mit der unentgelt­lichen Beratung möglicherweise ein guter Zweck verfolgt wird, dem öffent­lichen Wohl dient ein solches Tätigwerden in der Regel nicht, der Beratene wäre regelmäßig in der Lage einen Anwalt zu bezahlen. Damit fällt eine unentgeltliche Beratung Naheste­hender regelmäßig nicht unter den engeren Begriff der Pro-bono-Tätigkeit (Kilian, AnwBl 2012, 45).

2. Gemeinwohl

Dem öffent­lichen Wohl kann hingegen dadurch gedient werden, dass eine mittellose Person vertreten wird, die sonst nie in den Genuss guter anwalt­licher Beratung kommen könnte. Der Zugang zum Recht wird zwar anders als etwa in den USA, weitgehend über die Beratungs- und Prozess­kos­tenhilfe sicher­ge­stellt. Jedoch übernehmen gerade spezia­li­sierte Kanzleien oft keine Prozess­kos­ten­hil­fe­mandate. Eine weitere Gruppe von Pro-bono-Mandanten sind gemein­nützige Organi­sa­tionen, die als Vereine oder Stiftungen ausgestaltet sind (Maxwell, epd sozial 2013, Nr. 26, 4), die zudem nur ausnahmsweise Beratungs- und Prozess­kos­tenhilfe erhalten, wenn die Unterlassung der Rechts­ver­folgung oder Rechts­ver­tei­digung allgemeinen Interessen zuwider laufen würde (BTDrucks. 8/3068 S. 26). Mit Blick in die USA wird klar, dass es gerade die Angele­gen­heiten sind, bei denen es um die Durchsetzung des ideellen Interesses als solches geht und nicht um subjektive wirtschaftliche Anliegen der Organi­sation, die eine Pro-bono-Tätigkeit erfordern (Dux, AnwBl 2011, 91). Die Bewilligung von Prozess­kos­tenhilfe setzt zudem Bedürf­tigkeit des Beantra­genden voraus, die bei juristischen Personen regelmäßig nicht vorliegt, da das gesamte Vermögen sowie auch das Vermögen aller Personen berück­sichtigt wird, die ein ideelles Interesse am Streit­ge­genstand haben (Dux, AnwBl 2011, 92).

3. Gesetzliche Rahmen­be­din­gungen

Berufs­rechtlich sind der Ausgestaltung des Mandates Grenzen gesetzt. Da die Tätigkeit pro bono kostenlos erfolgt, könnte sie wegen des Gebühren­un­ter­schrei­tungs­verbots des § 49 b Abs. 1 S. 1 BRAO unzulässig sein, da geringere Gebühren und Auslagen nur gefordert werden dürfen, soweit das Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­gesetz dies vorsieht (so zum Beispiel bei der Beratung, § 34 RVG). Für die außerge­richtliche Vertretung bestimmt § 4 Abs. 1 S. 1 RVG, dass eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden kann, wenn die vereinbarte Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verant­wortung und Haftungs­risiko des Rechts­anwalts steht (§ 4 Abs. 1 S. 2 RVG). Die Tätigkeit pro bono bedeutet nicht, dass der Aufwand für die Mandats­be­ar­beitung geringer ausfällt. Im Gegenteil: vertritt der Anwalt eine gemein­nützige Organi­sation, ist die zu führende Korrespondenz oft aufwändig. Der Leistung des Anwalts ist es in einem solchen Fall nicht angemessen, wenn das entspre­chende Entgelt völlig entfällt.

Gemäß § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO darf der Rechts­anwalt im Einzelfall besonderen Umständen in der Person des Auftrag­gebers, insbesondere dessen Bedürf­tigkeit, Rechnung tragen durch Ermäßigung oder Erlass von Gebühren oder Auslagen nach Erledigung des Auftrags. Eine vorherige Absprache, die keine Gebühren vorsieht, fällt nicht unter die Ausnah­me­re­gelung. Dem Anwalt ist es zwar möglich, vorab Unentgelt­lichkeit in Aussicht zu stellen, eine insoweit bindende Verein­barung kann er mit dem Mandanten aber nicht treffen.

Mit der Regelung des § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO wird bezweckt, dass Anwälte nicht in unzulässiger Weise mit kostenloser Beratung werben und die Qualität der angebotenen Dienst­leis­tungen unter den gesenkten Preisen leidet. Pro-bono-Tätigkeit ist aber nicht Beratung zu Dumping­preisen, sondern unentgeltliche Beratung (Dux, AnwBl 2011, 94), es fehlt schon am notwendigen Marktbezug (Kilian, AnwBl 2012, 46). Da deshalb ein Wettbewerb hinsichtlich der Gebühren gar nicht stattfindet, fällt die Pro-bono-Tätigkeit nicht unter den Regelungszweck der Vorschrift. Zudem sind eben oftmals gemein­nützige Organi­sa­tionen betroffen, für die ein Pro-bono-Mandat tatsächlich den Zugang zum Recht sicher­stellen kann. Dies unterstützt auch § 6 RDG, der unter bestimmten Voraus­set­zungen die Erbringung von Rechts­dienst­leis­tungen durch Nichtju­risten erlaubt, sofern sie unentgeltlich erfolgt. Wenn ein Rechts­un­kundiger kostenlos rechts­be­ratend tätig werden darf, sollte es erst recht für den rechts­kundigen Anwalt gelten. Nach Sinn und Zweck des Gebühren­un­ter­schrei­tungs­verbots steht die berufs­rechtliche Regelung der Zulässigkeit der Pro-bono-Tätigkeit nicht entgegen.

II. Rechtliche Einordnung

Wie lässt sich das unentgeltliche Tätigwerden eines Anwalts für einen guten Zweck rechtlich einordnen? Diese Frage stellt sich schon deshalb, weil die Art des Rechts­ver­hält­nisses Anknüp­fungspunkt für den Haftungs­maßstab ist.

1. Beweggrund für pro bono

Für die Frage der rechtlichen Einordnung spielt das Motiv für die Pro-bono-Tätigkeit eine zentrale Rolle. Ein möglicher Grund kann die Steigerung des Ansehens nach außen sein. Gute Außendar­stellung und Reputation der Kanzlei verhilft nicht nur dazu, neue Mandate zu gewinnen, sondern ist auch der Anwerbung neuer Mitarbeiter förderlich (Bälz, Moelle, Zeidler, NJW 2008, 3384). Auch die eigene soziale Verant­wortung (von Seltmann, Dahns, NJW-Spezial 2012, 703) oder der Gedanke, sich sozial zu vernetzen (Bälz, Moelle, Zeidler, NJW 2008, 3384) können eine Rolle spielen.

2. Abgrenzung zur bloßen Gefälligkeit

Ein Mandats­ver­hältnis ist regelmäßig als Geschäfts­be­sor­gungs­vertrag einzuordnen. Die Pro-bono-Tätigkeit könnte aber auch ein bloßes Gefällig­keits­ver­hältnis sein, das zum einen dadurch gekenn­zeichnet ist, dass es eine unentgeltliche Leistung zum Inhalt hat. Für eine Gefälligkeit spricht auch, dass die Leistung aus rein altruis­tischen Gründen erbracht wird. Kein Gefällig­keits­ver­hältnis liegt allerdings vor, wenn der Leistende sich rechtlich binden möchte. Davon ist bei Pro-bono-Tätigkeit regelmäßig auszugehen, gerade wenn ein Anwalt aufgrund seiner besonderen fachlichen Expertise die Beratung übernimmt, das Rechts­ver­hältnis zum Mandanten ist als Mandat zu qualifi­zieren.

III. Frage der Haftungs­er­leich­terung

Davon ausgehend, dass es sich um ein Anwalts­mandat handelt, kommt eine Haftungs­er­leich­terung nicht allein aufgrund der rechtlichen Einordnung der Pro-bono-Tätigkeit in Betracht. Es stellt sich die Frage, ob eine Haftungs­be­grenzung auf anderem Wege erreicht werden kann, und gegebe­nenfalls in welchem Umfang.

Die Pro-bono-Tätigkeit ist keine „abgespeckte“ Variante des anwalt­lichen Tätigwerdens, sondern inhaltlich und qualitativ gleich­wertig – nur kostenlos. Wenn nun ein Anwalt unentgeltlich tätig wird, erscheint es auf den ersten Blick unbillig, ihn für Fehler, die ihm unterlaufen, vollum­fänglich haftbar zu machen. Andererseits widerstrebt es einem auch, den Mandanten, der aufgrund des Spezial­wissens des Anwalts auf eine ordnungs­gemäße anwaltliche Vertretung vertraut hat, auf einem Schaden sitzen zu lassen. Man könnte daran denken, die Haftung für fahrlässige Pflicht­ver­let­zungen durch Verein­barung zu beschränken (§ 52 BRAO). Bei besonders haftungs­trächtigen Mandaten sollte über diese Möglichkeit nachgedacht werden, angesichts der summen­mäßigen Begrenzung ist sie in der Praxis meist unzulänglich. Für den Fall, dass in einer Sozietät nur ein Anwalt pro bono tätig wird und die anderen Sozien dieses Risiko nicht mittragen möchten, besteht außerdem die Möglichkeit einer personellen Haftungs­be­schränkung (§ 52 Abs. 2 S. 2 BRAO).

Dass es Einzelfälle gibt, in denen diese Möglich­keiten alleine nicht ausreichen, wird unter anderem deutlich am Beispiel der sogenannten „law clinics“. Der Deutsche Anwalts­verein organisiert beispielsweise in Kooperation mit dem Europäischen Rat der Rechts­an­walt­schaften (CCBE) auf der griechischen Insel Lesbos eine Art „law clinic“, in der Flüchtlinge mit kostenlosem Rechtsrat versorgt werden (AnwBl 2017, 310). In dem Projekt leisten europäische Anwälte, die auf dem Gebiet des Asylrechts spezia­lisiert sind, im Flücht­lingscamp Moria pro bono indivi­duelle Rechts­be­ratung für Flüchtlinge. Den dort tätigen Anwälten stehen nicht die gleichen juristischen Instru­men­tarien zur Verfügung wie am Kanzlei­sch­reibtisch. Ansetzen könnte man in solchen Einzel­fällen daher am Verschul­dens­maßstab, je nach Ausgestaltung der konkreten Beratungs­si­tuation. Wenn es dem Anwalt zum Beispiel nicht möglich ist, gründliche Recherchen durchzu­führen, weil er nicht von seiner Kanzlei aus, sondern vor Ort beim Mandanten, womöglich sogar im Ausland, tätig werden muss und ein Zugang zu Rechts­li­teratur nicht besteht, könnte man einen Rechts­irrtum als unverschuldet ansehen. Hier wären die Gerichte in Haftpflicht­pro­zessen aufgerufen, eine sorgfältige Abwägung vorzunehmen. In solchen Haftpflicht­fällen wird darüber hinaus oft auch kein kausaler Schaden entstehen, weil die betref­fenden Mandanten sonst überhaupt nicht beraten worden wären.

IV. Schluss­be­merkung

Für Pro-bono-Mandate besteht trotz Beratungs- und Prozess­kos­tenhilfe Bedarf, und es ist wichtig, diese Tätigkeiten nicht unnötig zu erschweren. Aus Haftungssicht gibt es zwar keine grundsätzliche Privile­gierung. Hier ist die Rechtsprechung aufgefordert, den Umständen und Besonder­heiten der Probono-Tätigkeit Rechnung zu tragen und das indivi­duelle Verschulden des Anwalts sowie die Kausalität mit Augenmaß zu prüfen. Pro-bono-Mandate sind über die Berufs­haft­pflicht­ver­si­cherung im gleichen Maße versichert, wobei – wie generell – der Deckungs­umfang (zum Beispiel für Auslands­tä­tig­keiten) überprüft werden sollte.

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Author: Trent Wehner

Last Updated: 04/17/2023

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